Hybridzucht: Optimiert auf Leistung und Planbarkeit
In der Lebensmittelproduktion spielen viele Faktoren eine Rolle. Planen ist schwer, wenn man mit der Natur, mit Pflanzen, Tieren und dem Wetter arbeitet. Das Wetter lässt sich schwer kontrollieren, bei Pflanzen und Tieren gibt es durch gezielte Zucht, Selektion und Kombination von Eigenschaften allerdings Werkzeuge, etwas Planbarkeit zu erreichen. Eines der wichtigsten dieser Werkzeuge ist dabei die Hybridzucht.
Hybridzucht: Allgegenwärtig und doch wenig bekannt
Streifen Gespräche die Hybridzucht, ernte ich häufig belustigte Blicke. Hybride spielen im Alltag der meisten Menschen keine Rolle. „Hybrid“ wird eher mit Autos in Verbindung gebracht, oder mit Technik generell; Nicht mit Tieren. Gleichzeitig spielt sie eine überragende Rolle in der modernen Landwirtschaft. Unterm Strich kann man wahrscheinlich sagen, dass Hybridzucht einer der Hauptgründe dafür ist, dass der Welthunger kein Mengen- sondern ein Verteilungsproblem ist. Bei jedem unserer Einkäufe sind wir umgeben von Hybriden; meist, ohne es zu merken – was sind aber Hybride und warum spielen sie eine solch große Rolle?
Hybrid-Zucht: Mit ein paar Regeln zum Erfolg
Hybride in der Landwirtschaft sind spezielle Generationen von Pflanzen oder Tieren, die gezielt produziert werden, um auf den Punkt maximale Leistung bei maximaler Planbarkeit zu erzielen. In der industriellen Produktion wird versucht, möglichst viele Faktoren kontrollierbar zu gestalten und in der Zucht sind Hybride dabei das Mittel der Wahl. Genutzt werden zu diesem Zwecke vor allem zwei genetische Regeln, die vielen von uns im Biounterricht begegnet sind; die Uniformitätsregel und der Heterosiseffekt. Das eine ist die Geschichte von Mendels Erbsen: Verpaart man zwei verschieden aussehende Erbsen, dann ist es in der Regel so, dass sich die Kinder dieser Verpaarung – die „erste Filialgeneration“, bzw. „F1“ – in Eigenschaften wie Aussehen, Größe, Gewicht, Charakter und Gesundheit aber auch Fleischansatz oder Futterverwertung sehr ähnlich sind. Abhängig ist dies davon, welche Eigenschaften die Eltern in sich tragen und wie sich diese durchsetzen. Genetisch veranlagt sind zwar immer die verschiedenen Eigenschaften beider Elternteile, durch eine strategische Anpaarung erreicht man in der F1 aber ein hohes Maß an Uniformität. Das ist für die Kalkulation von Preisen oder auch bei der industriellen Weiterverarbeitung mit Maschinen praktisch. Vermehrt man die F1-Erbsen, Schweine oder Hühner weiter, spalten sich die Eigenschaften wieder auf und die Planbarkeit ist nicht mehr gegeben.
Der Heterosiseffekt der Hybridzucht
Die zweite genetische Regel, der Heterosiseffekt, besagt, dass Nachkommen von Eltern mit sehr geringem Verwandtschaftsgrad besonders gute Eigenschaften haben. Mit hoher Wahrscheinlichkeit sogar bessere Eigenschaften als die Durchschnittswerte der Elternpopulationen erwarten lassen würden. In der Natur ist es eine Belohnung für genetischen Austausch: Wandert ein Löwenmännchen aus einer weit entfernten Gegend in ein anderes Gebiet ein und übernimmt ein Rudel, sind seine Nachkommen vitaler und gesünder als sie es wären, wenn der Rudelchef aus der Nähe oder sogar der eigenen Familie käme. Durch gezielte Kombination von Zuchtlinien lassen sich durch den Heterosiseffekt also Tiere erzüchten, die „besser“ sind als es durch die reine Selektion, also Auswahl und Weiterzucht von leistungsstarken Tieren, möglich ist. Die beschriebenen Effekte finden sich in Tier- und Pflanzenzucht und sie werden auch in beiden Bereichen stark genutzt. Bei einigen Pflanzenarten wie Mais, Weizen, Tomaten, Raps oder Gurken findet man fast nur hybride und kaum „samenfeste“ Sorten; Sorten also, deren Nachkommen sich bei einer Weitervermehrung von F1-Individuen in ihren Eigenschaften nicht aufspalten.
Verlässlichkeit statt Vielfalt
Man kann die Hybridzucht nicht beschreiben, ohne kurz auf die traditionelle Zucht einzugehen. Zucht ist die gezielte Auswahl und das Weitervermehren von Individuen (Tieren oder Pflanzen), die unter gegebenen Bedingungen besonders gewünschte Eigenschaften zeigen. Traditionell wurden dafür vornehmlich Nachkommen der besten verfügbaren Tiere oder Pflanzen gezogen. Diese Variante der Zucht nennt sich Selektion. Durch traditionelle Zucht und den damals geringen überregionalen Austausch sind über die Zeit überall Sorten und Rassen entstanden, die an Bedingungen unterschiedlicher Gegenden angepasst waren. In den Bergen leichtere, trittsichere Rinder. In den Tiefebenen Schafe, deren Klauen mit Feuchtigkeit besser klarkommen und an trockenen Standorten Getreidesorten, die besonders tief wurzeln.
Rassenzucht: Planparkeit, aber langsame Weiterentwicklung
Eine Rasse/Sorte ist eine Population von Tieren/Pflanzen, die durch die Ähnlichkeit ihrer Eigenschaften zusammengefasst und von anderen Populationen unterschieden werden kann. Durch die Ähnlichkeit innerhalb der Population entsteht eine gewisse Vorhersehbarkeit, was die Eigenschaften der Nachkommen angeht. Gleichzeitig bietet die Absehbarkeit der Eigenschaften aber keine hundertprozentige Planbarkeit, da eine gewisse Variation in einer gesunden Population natürlich ist und Eigenschaften auch nach mehreren Generationen wieder auftauchen können. Was bei der Vermehrung innerhalb einer Population oder Rasse dagegen nur langsam möglich ist, ist Weiterentwicklung: da die Tiere in ihren Eigenschaften sehr klar umrissen sind, ist die Wahrscheinlichkeit demnach gering, dass die Kombination zweier Eltern einen plötzlichen Sprung einer Eigenschaft hervorruft.
So weit die Theorie: Grob zusammengefasst, bieten uns Rassen also eine gewisse Verlässlichkeit, sind in ihrem Entwicklungspotenzial aber träge. Hybride dagegen, die gezielte Kreuzung mehrerer Rassen oder auch Linien (Linien hat man, wenn man aus der Population einer Rasse gezielt Tiere selektiert und eng verpaart um spezielle Eigenschaften herauszuarbeiten und andere auszuschließen), bieten durch den Heterosiseffekt verbesserte Eigenschaften und durch die Uniformitätsregel eine große Verlässlichkeit in diesen. Diese Verlässlichkeit allerdings mit dem Risiko, dass die Eigenschaften bei Weitervermehrung verloren gehen. Spalten sich die Nachkommen der F1-Generation von Hybriden auf, können die Neukombinationen wild sein: Grund dafür ist, dass die Ausgangslinien sehr unterschiedlich sind, um den Heterosiseffekt stark ausfallen zu lassen.
Die theoretische Grundlage unserer Landwirtschaft
Zusammenfassend kann man sagen, dass die Hybridzucht eines der wichtigen Zahnrädchen im Getriebe der modernen Landwirtschaft ist und mit dafür sorgt, dass sie sich so präsentiert, wie wir sie gewohnt sind: Hocheffizient, hochspezialisiert und sehr verlässlich. Internationale Handelsströme führen dazu, dass weltweit Futtermittel eingekauft und eingesetzt werden können, um die Tiere kostengünstig und bestmöglich auszufüttern und der Verarbeitung und dem Handel möglichst gleichbleibende Qualität zu liefern.
Hybridzucht: Ein fragiles System
Das maximale Ausreizen des „tiermöglichen“ führt aber dazu, dass es ein sehr fragiles System ist. Landwirte sind schon lange keine „Bauern“ mehr, die den Horizont beobachten und mit Bauchgefühl und dickem Daumen die nächsten Jahre planen, sondern Manager ihrer Betriebe und bewegen sich mit ihren Käufen und Verkäufen auf dem Weltmarkt. Die Tier- und Pflanzenzucht liegt nicht mehr in der Verantwortung der Landwirte selbst, sondern wird von speziellen Konzernen erledigt. Das professionalisiert das System zwar, macht es effizienter und für alle verfügbar, kreiert aber auch Abhängigkeiten. Die Zuchtkonzerne lassen sich ihre Arbeit gut bezahlen und schon längst ist das Leistungspotenzial und die Uniformität der Hybriden das, woran sich die traditionellen Rassen messen lassen müssen.
Hybriden: Auch im Bio-Bereich der Standard
Das Resultat spricht Bände: auch im vermeintlich gemächlicher arbeitenden Biobereich sind Hybride Nonplusultra und allgegenwärtig. Im Bio-Tierbereich bei sämtlichem Geflügel und bei den Schweinen, bei den Pflanzen im Gemüsebau, aber auch bei vielen Feldfrüchten. Geschichten, wie die Norm der Gurkenkrümmung könnten ohne Hybride nicht erzählt werden; das Maß an Uniformität ist im Vergleich zu traditionellen Züchtungen unfassbar, selbst wenn man die genetischen Regeln dahinter verstanden hat. Der schmaler werdende Genpool der Sorten sorgt aber auch für mangelnde Resistenzen gegenüber Krankheiten, schwächere Anpassungsfähigkeiten bei sich verändernden Bedingungen und wenig Toleranz gegenüber schwankenden Wetter- oder Futterbedingungen.
Hybriden vs. Rasse-Züchtungen: Masse gegen Individualität
Ist man als Genießer über die Freude am XXL-Schnitzel hinaus und sucht nach Besonderheit und Tiefgang, sind Hybride kulinarisch meist schnell uninteressant. Geschmack und sensorische Qualität sind weder bei der Zucht noch bei der Fütterung der Tiere ein Thema, genau so wenig wie in der Pflanzenzucht. Es geht um das Bedienen des Massenmarktes und eine Optimierung für die Lagerungs- und Verarbeitungsprozesse und der Durchschnittsverbraucher schaut überdies nach wie vor fast ausschließlich auf den Preis. Schnell hochgefütterte Tiere bringen im Vergleich zu traditionellen Rassen wenig Eigengeschmack mit und ihr Fleisch tut sich eher schwer, beim Kochen die Flüssigkeit in den Zellen zu halten. Sensorisch haben sie bei geschulten Gaumen wenig Chance, eine Ausnahme ist vielleicht das marinadengeschwängerte amerikanische BBQ. Möchte man aber ein Teilstück und seine speziellen Eigenschaften in den Mittelpunkt des Geschmackserlebnisses stellen, muss man woanders Ausschau halten.
Die steigende Bekanntheit von Begriffen wie Ibérico, Wagyu oder auch der Weg des Hühnerhalters Lars Odefey zeigen einen Trend in die Richtung, die sprichwörtlichen teuren Grills nicht mehr mit billigen Steaks zu verachten, sondern Genuss ganzheitlich anzugehen. Internationale Handelsströme und wissenschaftliche Erkenntnisse sind zwar in der Lage, Menschen kostengünstig satt zu bekommen und rechtfertigen ihre Existenz allein dadurch. Allerdings erzählen sie auch keine Geschichte die geschmeckt und gefühlt werden kann. Jedenfalls keine, die nicht an Autos erinnert.
Über Ingmar Jaschok
Als Demeter-Landwirt unterwirft sich Fleischglück-Experte Ingmar Jaschok freiwillig und gern den Qualitätsstandards, die das Gütesiegel ihm vorschreibt. Die Produktion von Milch- und Fleischprodukten wird dadurch – zumindest aus dem Blickwinkel Außenstehender – stark erschwert. Die Demeter-Standards setzen strikte Vorgaben, das beginnt beim Einsatz der Düngemittel, über über das Vorgehen bei Tier- und Pflanzenzucht bis hin zum großen Kapitel des Umgangs mit lebenden Tieren. Haltung, Fütterung, Transport, Heilmethoden und Zucht werden vom Demeter-Standard nicht nur berührt, sondern streng definiert. Für den Landwirt und Blogger bedeutet Demter gerade wegen dieser Restriktionen vor allem eines: maximale Lebensqualität für seine Tiere und daraus resultierend eine unerreichte Produktqualität. Auf seinem Blog Hofhuhn gibt er einzigartige Einblicke in sein Leben und Arbeiten als passionierter Demeter-Landwirt.