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Rasse statt Hybrid: Lars Odefey und die Erfolgsgeschichte der Weidehühner

Rasse statt Hybrid: Lars Odefey und die Erfolgsgeschichte der Weidehühner

Besucht man Lars in Mehre, einem Vorort des niedersächsischen Uelzens, würde man hier wahrscheinlich nicht unbedingt einen der besten Hühnerhöfe Deutschlands vermuten. Es ist nicht die Heide der Heideblüte, der Heidschnucken oder Korbimker, sondern eine großagrarisch geprägte Landschaft, in der das kleine Mehre liegt. Nasskaltes Januarwetter ließ uns unser Treffen schwerpunktmäßig nach drinnen verlegen; gemütlich am großen Tisch, statt draußen im Schietwetter. Bisschen gemütlicher zum Schnacken. Dem Resthof, den seine Eltern vor ein paar Jahrzehnten gekauft hatten, versucht Lars seit drei Jahren das „Rest“ aus dem Namen zu streichen. Mit einem verblüffend einfachen Rezept: Hühnern. Auf dem Hof aufgezogen, geschlachtet und dann am Stück an die Kunden gegeben. Keine Teilstücke, nur ganze Tiere; Handwerk, kein Hexenwerk, aber doch außergewöhnlich.

Qualität, die ankommt

„Odefey & Töchter – Weidehühner“ steht auf den, schlicht schwarz-weißen und aus alten Traktoranhängern selbst gebauten, Mobilställen in denen seine Tiere über die Flächen wandern. Sobald sie keine zusätzliche Wärmequelle mehr brauchen, kommen die Hühner in diese trockenen und zugluftfreien, aber ungeheizten und nicht weiter isolierten Ställe. Dass sie dadurch besonders im Winterhalbjahr etwas langsamer wachsen, nimmt Lars gerne in Kauf. Das langsame Wachstum begünstigt die Fleischqualität und die Spitzenküche dankt es ihm. Ich habe bei Johannes King nachgefragt, was er von Lars‘ Tieren hält. Der zwei-Sterne-Koch war bereits um die Jahrtausendwende einer der ersten in seiner Liga, die Regionalität und Saisonalität mit in ihr Denken einfließen ließen und nimmt, gemeinsam mit Küchenchef Jan Philipp Berner, die Odefey-Hühner regelmäßig auf die Karte seines Sylter Söl’ring Hofes. Er ist voll des Lobes für Lars‘ Arbeit.

Aus Kritik lernen

Bis es so weit war, musste er allerdings einiges an Lehrgeld zahlen. Auch das vergisst man gerne, wenn man – vielleicht ein kleines bisschen neidisch – auf die Erfolgsgeschichte der Heidehühner schielt. Lars hat gelernt. Sein Konzept war im Grunde schon vorher ganz schlüssig, aber er hat zugehört was sich seine Kunden wünschen und seine Arbeit dahingehend verbessert. Das ist der Unterschied zu vielen unserer Kollegen, die auf ihren Produkten sitzen bleiben, glaube ich persönlich. Seine erste Klinkenputz-Tour durch die Küchen des Nordostens war eine ernüchternde. „Schmeckt nicht schlecht, aber auch nicht anders als ein normales Bio-Huhn“, sagte Ende 2017 beispielsweise Micha Schäfer aus dem Berliner Nobelhart & Schmutzig. Im Klartext: man merkt, dass es gut gehalten wurde, kulinarisch macht das aber keinen Unterschied. Und das, ein halbes Jahr nachdem Lars alles auf die Karte Weidehühner gesetzt hatte; harter Tobak. Zu einem anderen Schluss kam Johannes King zweieinhalb Jahre später: „Besitzt einen sehr guten Eigengeschmack!!!!!!!“ (mit sieben Ausrufezeichen, wohlgemerkt) schreibt er mir auf meine Nachfrage, was er denn von den Hühnern hielte, per Whatsapp. Was war passiert?

Der feine Unterschied

Nach dem Feedback aus Berlin machte sich Lars nochmal an die Grundlagen. Micha Schäfer hatte recht: es waren halt Biohühner, die er einsetzte. Wie viele andere Kollegen bezog er seine Eintagsküken anfangs von einem großen Biolandbetrieb in der Gegend von Osnabrück. Eine klassische, schnell wachsende, robuste Freilandgenetik. Das, was man inzwischen auch ab und zu mal als Freilandhähnchen oder Bio-Brathähnchen angeboten bekommt. Dass er seinen Tieren ein längeres Leben in kleineren Gruppen und mit mehr Bewegung zugestand, machte den Braten nicht fett, wie man so schön sagt: bestimmt toll für die Hühner, aber geschmacklich kein entscheidender Unterschied. Fündig wurde Lars schließlich in Frankreich. Dort, wo auch die Spitzengastronomie seit jeher auf die Suche nach Spitzengeflügel geht.

Interessantes Gesamtpaket

„Label Rouge“, „Volailles Miéral“ oder „Bresse Gauloise“ sind klingende Namen, wenn man sich ein bisschen mit den Hühnern auseinandersetzt, auf die die gehobene Küche setzt. Das Label Rouge setzt seit Jahrzehnten Standards an Qualitätskriterien und Haltungsbedingungen, die die teilnehmenden Betriebe erfüllen müssen. Diese Qualität und Verlässlichkeit schätzen die Köche. Das Label koordiniert aber auch die Zucht von Hühnertypen die nicht nur für möglichst schnelles Wachstum kombiniert werden, sondern insbesondere auch auf Fleischqualität. Statt zur Bioland-Brüterei bei Osnabrück fuhr Lars ab 2017 also alle sechs Wochen ins Elsass, um Eintagsküken für sein Hühnerprojekt zu holen. Als nur einer von zwei Betrieben in ganz Deutschland, zog er nun selbst Label-Rouge-Hühner auf, um sie zu vermarkten. Mit den französischen Hühnern stimmte nun das Gesamtpaket und Odefey & Töchter wurde zu dem, was von außen im Nachhinein wie ein Selbstläufer erscheint.

Alles aus einer Hand

Nicht nur die Mobilställe baut er selbst, auch seine Weidehühner als Produkt kann man voll und ganz Lars zuschreiben. Er zieht die Tiere auf, fährt sie in den Mobilställen über die Flächen um ihnen regelmäßig frischen Auslauf zu bieten und füttert sie täglich, bis sie groß genug zum Schlachten sind. Ist es so weit, ist er es, der sie nachts im Dunkeln fängt und abtastet. Wer groß genug ist, kommt in die Transportkiste und in dieser in den Vorraum des hofeigenen Schlachtraumes. Dort betäubt und tötet er sie frühmorgens. Nach einer kurzen Achterbahnfahrt in der Rupfmaschine rupfen zwei ältere Damen aus Mehre die Tiere nach, nehmen sie aus und schneiden – auf Kundenwunsch – Kopf und Füße ab. Oder sie bleiben dran. Da sind sie flexibel bei Odefey & Töchter; möchten die Kunden die Tiere mit unversehrten Hälsen, wie es die Franzosen anbieten, werden die Tiere nach der Betäubung auch per Gaumenstich statt des klassischen Kehlschnittes getötet. Der Gaumenstich sorgt für einen noch unmittelbareren Tod, ein besseres Ausbluten und ist – vor allem – industriell und am Fließband nicht umsetzbar. Für Lars schon. Auch den sauberen Rupf der Tiere vermerkte Johannes King – selbst Sohn eines Bauern – übrigens lobend. Handwerk, kein Hexenwerk.

Weiterentwicklung nach eigenen Vorstellungen

Inzwischen ist es Lars, der sagt, wo es langgeht. 2019 war ein großer Schritt für sein junges Unternehmen. Statt auf die verlässlichen französischen Hybriden setzt er auf Rassehühner. Mit Hilfe einiger Restaurants aus Berlin und Hamburg finanzierte er eine Brutmaschine und von der landwirtschaftlichen Lehranstalt Triesdorf bekam er Bruteier verschiedener alter Hühnerrassen. Der Hoflieferant der Sterneköche entschied sich letztendlich selbst für die Hühner gekrönter Häupter: Bressehühner, die Hühner der französischen Könige und Sulmtaler, die am österreichischen Kaiserhof gegessen wurden. Fast ein bisschen kitschig, oder?

Selbstbewusst in die Zukunft

Auf Rassehühner zu setzen ist ein großes Risiko. Vor allem, wenn man mit seinem Produkt so etabliert ist wie Lars es ist und alles auf dieses eine Standbein gesetzt wird. Gerade wurde Odefey & Töchter mit dem Food Mover Award in der Kategorie „Best Producer“ ausgezeichnet. Wird Nachhaltigkeit und Verantwortungsübernahme gegenüber dem eigenen Tun großgeschrieben, ist die eigene Hühnerzucht allerdings der einzig logische Schluss, auch wenn es gegen alles verstößt, was in der Branche heilig ist: kurzfristige Flexibilität, Fokus auf einen Arbeitsschritt der Wertschöpfungskette, höchstmögliche Automatisierung. Lars geht es aber ums Ganze; auch wieder etwas, das man von außen unterschätzt. Es wurde mir erst wirklich klar, als ich bei ihm am Küchentisch saß und wir uns über Landwirtschaft unterhielten.

Vom Hühnerhof zum Bauernhof

Es soll auch nicht bei dem einen Standbein bleiben. Ein Bauernhof besteht nicht nur aus einer Tierart. Inzwischen ist bereits eine Gruppe Schafe dazu gekommen. Enten sollen auch kommen; auch hier mit Pommernenten eine alte Rasse. Er möchte bunter werden, besser. Aber nicht größer. Er hat noch viel vor mit seinem ehemaligen Resthof und hat sich eine Nische geschaffen, in der er aktuell noch komplett alleine ist: Weidehühner der Spitzenqualität aus Norddeutschland. Nicht nur für die Sterneküche.

Über den Autor Ingmar Jaschok

Ingmar Jaschok ist Demeter-Landwirt mit journalistischer Ader – eine seltene Kombination. Durch tiefe Einblicke in die Landwirtschaft aufgrund jahrelanger Arbeit auf Betrieben in ganz Deutschland und seinem Heimathof dem Bornwiesenhof weiß er genau, an welchen Stellen es Fleisch-Erzeuger am meisten drückt und wo dringend mal nachgehakt werden muss. Als freier Journalist und Autor bereitet er diese Erkenntnisse so auf, dass auch Endverbraucher verstehen, was die Branche bewegt. Ingmar Jaschok reist als Genuss-Scout für Fleischglück durch Deutschland und trifft Erzeuger, Gastronomen und andere Persönlichkeiten, die in der Fleisch-Szene außergewöhnliches leisten. Noch mehr Geschichten aus seinem Leben als Landwirt mit Mission und Vision kann man auf seinem Blog Hofhuhn lesen.

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