Hahnenfleisch – eine unterschätzte Delikatesse?
Ein Expertenbeitrag von Ingmar Jaschok. Enthält Werbung
Im Geflügelbereich arbeite ich aktuell an einem Sahnehäubchen; im Hahnenbereich, genauer gesagt. Das ist zumindest mein Ziel. Noch ein paar Tage läuft mein Crowdfunding unter dem Motto „Hühnerhaltung ohne Kompromisse“ und nicht weniger habe ich mir in den Kopf gesetzt: keine Kompromisse bei der Tierhaltung, keine Kompromisse bei der Qualität der Produkte. Das Interesse ist immens: bereits nach drei Tagen hatten wir unsere erste Fundingsumme erreicht. Nach zehn Tagen die zweite und wir sammeln weiter: als Dankeschöns für die Unterstützer gibt es exklusive Kochabende und Workshops, aber auch Hähne der Extraklasse und Patenschaften.
Ein Hahnenlabor auf dem Hof
Mit dem Geld, das wir durch die Käufe der Unterstützer*innen zusammenbekommen, komme ich in die Lage, bei uns auf dem Hof eine Art Hahnenlabor einzurichten und für andere interessierte Landwirte und Hühnerhalter darüber zu berichten. Unser Hauptgeschäft ist die Demeter-Milchkuhhaltung und Käseherstellung, die Hühner sollen nur ein Teil des Betriebskreislaufes werden, kein Hauptstandbein. Weltweit habe ich die letzten Jahre recherchiert, was es zu Zucht, Haltung und Verarbeitung von Hühnern zu wissen gibt: schnell ziehende Weidehaltungssysteme aus den USA, traditionelle Fütterung mit Resten aus der Käseherstellung wie in Frankreich und schonende Schlacht- und Reifetechniken aus England und Frankreich, kommen bei uns zusammen. Das Ziel: Hähnen den Respekt zurückzugeben. Auf dem Betrieb und in der Küche
Ganzheitlicher Ansatz der Hühnerhaltung
Es geht eigentlich nicht ums Fleisch, sondern ums Ganze. Ich bin mit der Hühnerhaltung im Allgemeinen unzufrieden und möchte sie gemeinsam mit möglichst vielen Unterstützer*innen ändern. Ich halte meine Hennen über mehrere Jahre und zwar auf eine Art und Weise, die ihnen ermöglicht dabei gesund zu bleiben. Unsere Hühner müssen nicht jedes Jahr ausgetauscht werden, weil sie vom vielen Eierlegen ausgebrannt sind. Ich züchte alte Kulturrassen und halte meine Hühner mit viel Auslauf. Legepausen und extensives Futter sind weitere Schlagworte. Ich züchte mit den Hennen weiter, die hier lange produktiv waren, denen es hier also über mehrere Jahre am besten ging und den Hähnen, die mit unserem hofeigenen Futter am besten wachsen. Die richtige Auswahl der Zuchttiere ist sehr wichtig. Das Töten von Eintagsküken ist bei uns überhaupt kein Thema. Genau wie das Ammenmärchen, ausgewachsene Hähne seien zäh. Vom ersten bis zum letzten Tag der Tiere habe ich alles im Blick und stehe voll hinter dem, was ich herausgeben kann.
Schon seit einem Jahr bin ich mit Köchen, Bloggern und Fleischgenießern dabei zu testen und bisher habe ich nie das Feedback bekommen, dass meine Hähne zu zäh gewesen wären. Schmal? Sicher. Das ist aber wie bei einem richtig guten Wein: von dem braucht man auch keine drei Flaschen um einen tollen Abend zu haben. Unsere optischen Ansprüche an ein Huhn für die Küche sind ziemlich verschoben. Das, was wir aus dem Supermarkt kennen, würde in artgemäßer Haltung niemals zustande kommen.
Natürliche Fetteinlagerungen – nach 200 Tagen
Meine Tiere leben mindestens 200 Tage bei uns, bevor sie hier auf dem Hof geschlachtet werden. Auch etwas, das durch das Crowdfunding möglich gemacht wird. Null Transportkilometer. Gut für Tier, Umwelt und Fleischqualität. Zum Vergleich: normale Brathähnchen leben zwischen fünf und acht Wochen. Bio-Brathähne knapp 12 Wochen: 81 Tage ist die Mindestmastdauer laut Bio-Richtlinien. Die Tiere im Hochpreissegment werden zwischen 100 und 120 Tage alt. Alle werden zwischen Brüterei, Mastbetrieb und Schlachthof oft hunderte von Kilometern transportiert. Mein Ziel: die beste Qualität bei bestem Tierwohl. Deswegen verzichte ich auch auf eine beengte Endmast, wie es bei den berühmtesten aller Hühner die Praxis ist: ich warte, bis das Größenwachstum abgeschlossen ist und die Tiere ganz von selbst intramuskuläres Fett bilden. Das ist nach etwa 200 Tagen der Fall.
Rassenvielfalt – auch bei Hühnern
Ähnlich, wie man beim Rind zwischen Angus, Wagyu und Galloway oder beim Schwein zwischen Duroc, Mangalitza und Ibérico unterscheidet, haben auch wir verschiedene Rassen: Marans, Lachshühner, Silverudds, Rheinländer. Für die wirklichen Schatzsucher auch Ayam Cemani: Alle mit speziellen Qualitäten. Rheinländer legen weiße Eier und sind aktive Futtersucher, Marans sind ruhige und souveräne Tiere die große, schokoladenbraune Eier legen, Silverudds haben eine besonders hohe Legeleistung mit grünlichen Eiern und Lachshühner legen cremebraune Eier. Aber auch auf der Hahnenseite sind sie unterschiedlich. Die Silverudds sind recht leicht, als Schlachtkörper etwa ein Kilo und perfekt für den Grill: halbiert, als „Spatchcock“ am Knochen zubereitet, wie es vielleicht ein paar BBQ-Freunde unter den Lesern aus dem englischsprachigen Raum kennen. Die Lachshühner sind mit über 2kg Schlachtgewicht ein Braten für die ganze Familie, die Marans und Rheinländer sind in ihren Teilstücken so definiert, dass ich an der perfekten Reifung arbeiten werde. Die Ayams fallen durch ihre schwarze Farbe auf: innen und außen. Verkauft werden immer die ganzen Tiere. Gewogen wird nach dem Schlachten und der Kunde entscheidet in Absprache mit uns über die Reifung. Wie lange soll das Tier gereift werden und soll es im Ganzen oder in Teilen ankommen? Sollen Karkasse, Füße und Kopf mit zum Kunden, oder sind sie meine Aufwandsentschädigung fürs Reifen, Zerlegen und vepracken, die ich dann in die Brühe wandern lassen kann?
Hahn als Edelfleisch?
Es klingt alles vielleicht etwas kompliziert, aber nur weil wir es nicht kennen, uns ernsthaft mit Brathähnchen auseinanderzusetzen. So wie man beim Kauf des ersten trockengereiften Stückes Fleisch wahrscheinlich ein bisschen wie der Ochs vorm Berge stand, wundert man sich jetzt auch. Es lohnt sich aber. Versprochen. Wer Hahn isst, ist überzeugt. Ich selbst warte jetzt seit drei Monaten darauf, mal wieder was mit Hahn kochen zu können. Im Mai habe ich noch einige Tiere schlachten lassen, damals 30 Minuten Fahrt von hier bei einem kleinen Betrieb der auch für kleinste Partien die Tür aufmacht. Diese Hähne gehen aber Ende Juli in ein Pop-Up-Dinner mit Vincent Fricke in München. Mein letztes Mal Hahn waren zwei ausgelöste und in Streifen geschnittene Oberschenkel in einem asiatisch inspiriertem Wokgericht. Ich denke immer noch an die unglaubliche Kombination von Knusprigkeit der Haut und dem intensiven Geschmack des zarten Fleisches mit den zartschmelzenden, durchwachsenen Fettlagen zwischen den Muskelpartien. Hahnenfleisch nicht als proteinreicher Träger für Soße, Marinade oder einen Toss, sondern als geschmacklicher Höhepunkt eines Gerichtes.
Wie schmeckt Hahn?
Das ist schwer zu beschreiben. Muss man gehabt haben. Wer gekostet hat, stimmt mir meist zu, dass es das hat, was einen am Brathähnchen vom Stand so fasziniert. Dieses Geschmackselement dass man immer mit dem Brathähnchengewürz verbindet. Allerdings von sich aus, viel intensiver und ohne dass das Fleisch dabei wahlweise fettriefend oder trocken ist. Es ist eine runde Sache und vor allem ein grundsolides Produkt: meine Tests im letzten Jahr habe ich nicht nur mit Fleischprofis gemacht, sondern auch mit Menschen aus meinem Umfeld, die kein Interesse an Schnickschnack haben. Ob schnell im Ofen bei Oma, oder über Stunden bei niedrigster Temperatur, wie es der Sohn einer unserer Käserinnen gemacht hat: es hat geschmeckt. Auch hier war der einzige Kommunikationsaufwand das Erklären der Körperform.
Nach der fetten alten Kuh – die fette alte Henne?
Für diejenigen, die die letzten 50 Jahre nicht irgendwo im Busch gelebt haben, erinnern unsere Hähne mit ihren schmaleren Körpern und langen Beinen optisch erstmal an Suppenhühner. Ich habe es, mit einem Freund der Koch ist, ausprobiert: es gibt einen gewaltigen Unterschied zwischen Hähnen und Suppenhühnern. Das ist der Grund, warum „fette alte Henne“ wahrscheinlich nicht das nächste große Ding sein wird: Huhn kann echt zäh sein. Beim Hahn ist es mir aber noch nicht vorgekommen. Einzig die Unterschenkel sind etwas sehniger als man das kennt. Wenn man die Sehnen beim Brathahn auf dem Teller liegen lässt ist, das aber kein Problem. Besser ist es aber, wenn man das Tier in jedem Teilstück so zubereitet, wie es optimal ist. Als ich im März einen eher schmalen Hahn mit vielleicht 1,2kg Schlachtgewicht zum „Wolfs Junge“ in Hamburg zum testen geschickt habe, kamen von Sebastian Junge fünf Bilder von fünf Gerichten zurück. Aus dem einem Tier wohlgemerkt.
Taugt Hahn als Genuss-Highlight?
Als erste Inspiration schlage ich immer vor, die Brust mit Haut auszulösen und leicht rosa, nur mit ein bisschen Pfeffer und Salz zu probieren um einfach mal zu schmecken, was „Hahn“ ist. Rosa ist dank unserer Schlachttechnik kein Problem: die Tiere werden kalt-trocken gerupft. Es ist also weder Wasser noch Hitze im Spiel um die Federn zu lösen und das Produkt ist dadurch sehr viel weniger riskant. Die Oberschenkel löse ich gerne vom Knochen und nehme sie für Gerichte in denen sie scharf angebraten werden. Ebenfalls mit Haut, selbstverständlich. Wokgerichte sind eine Option, aber auch für sich schmecken sie super, zu einem Risotto beispielsweise. Auch bone-in übrigens. Von den Sehen im Unterschenkel bliebt nichts übrig, wenn man sie langsam schmort: entweder sous-vide und auf dem Grill vollendet oder klassisch als Coq-au-vin. Ein besonderes Schmankerl ist das „Sot-l’y-laisse“, das Pfaffenstückchen. Es ist die oberste Spitze des Oberschenkels, direkt seitlich der Wirbelsäule und gilt als leckerster Teil des Hahnes. Es ist etwa so groß wie ein zwei-Euro-Stück: man braucht also ein paar davon. Als Entrée für einen gemütlichen Kochabend, einfach auf der Haut angebraten, mit etwas Pfeffer, Salz und ganz fein gehackten Schalotten, die am Ende des Garens das ausgelassene Fett aufnehmen, reicht Baguette als Beilage, um Begeisterung auszulösen.
Wissen teilen – make Hahn great again
Klar, das ist alles schön und gut, aber wo gibt es diese Wunderhähne? Aktuell noch überhaupt nicht. In unserem Crowdfunding gibt es noch ein paar, dann sind wir aber erstmal ausverkauft. Das Ziel ist allerdings, nicht nur hier bei uns und möglichst exklusiv Hähne zu produzieren, sondern die zusammengetragenen Techniken und Erfahrungen zu verbreiten: das war das Versprechen für das zweite Fundingziel unseres Crowdfundings. Mir geht es darum, möglichst viele Bauern in die Lage zu bringen eine solche Hühnerhaltung umzusetzen. Durch meine Öffentlichkeitsarbeit bin ich mit tollen Menschen in Kontakt gekommen, die mit ihrer Erfahrung weitergeholfen haben. Das möchte ich weitergeben. Im Elsass bin ich beispielsweise mit einem Hof in Kontakt, deren Chef mir die Feinheiten des Effilierens und der Hahnenfleischreife nahegebracht hat. Hier in Deutschland ist Mark von der Kölner Metzgerei Lappen und Prengel einer meiner liebsten Partner für geistiges Pingpong zu dem Thema. Und die Köche Vincent Fricke und Sebastian Jung. So möchte auch ich weiterarbeiten, damit es in Zukunft überall echte Hähne geben kann.
Ein Handwerk wiederbeleben
Die einzige Schwierigkeit in der Produktion ist, die Geduld in er Aufzucht und nach der Schlachtung aufzubringen um das perfekte Produkt zu bekommen. Die Fütterung und Techniken selber sind kein Hexenwerk sondern traditionelles Handwerk und werden nach und nach auf meinem Blog aufgearbeitet und veröffentlicht. Das ist auch der Grund, warum ich so schamlos Werbung für die Hähne gemacht habe: es ist keine Werbung für mein Geschäft, sondern für eine Philosophie der Hühnerhaltung, mit der man als Fleischliebhaber ein irrsinnig hohes Level an Tierwohl unterstützen kann. Dezentral und hofindividuell und hoffentlich bald überall.
Falls ihr gut findet was ihr gelesen habt, gibt es unter www.startnext.com/Hofhuhn weitere Infos und auch die Möglichkeit zu unterstützen.
Meinen Blog findet ihr unter www.hofhuhn.de und auf www.facebook.com/hofhuhnblog und www.instagram.com/hofhuhn mein Social Media. Den Hofhuhn-Podcast findet ihr überall, wo es Podcasts gibt.
Über Ingmar Jaschok
Als Demeter-Landwirt unterwirft sich Fleischglück-Experte Ingmar Jaschok freiwillig und gern den Qualitätsstandards, die das Gütesiegel ihm vorschreibt. Die Produktion von Milch- und Fleischprodukten wird dadurch – zumindest aus dem Blickwinkel Außenstehender – stark erschwert. Die Demeter-Standards setzen strikte Vorgaben, das beginnt beim Einsatz der Düngemittel, über über das Vorgehen bei Tier- und Pflanzenzucht bis hin zum großen Kapitel des Umgangs mit lebenden Tieren. Haltung, Fütterung, Transport, Heilmethoden und Zucht werden vom Demeter-Standard nicht nur berührt, sondern streng definiert. Für den Landwirt und Blogger bedeutet Demter gerade wegen dieser Restriktionen vor allem eines: maximale Lebensqualität für seine Tiere und daraus resultierend eine unerreichte Produktqualität. Mit seinem Crowdfundung „Hühnerhaltung ohne Kompromisse“ will er die bäuerliche Hühnerhaltung revolutionieren.
Warum aus Hahn nicht Kapaun machen?
Ich schätze das sehr in Frankreich und kaufe gerne an Weihnachten und Ostern solche Kerle!
Bisher habe ich sie 3 Stunden im Salzmantel oder 10 Stunden sous vide bei 70 °C und anschließendem Finalisieren im Backofen 30 min bei 180 °C in der Küche gegessen. Warum gibt es keine Kapaune in Deutschland? Wollen Preussen’s Veterinäre das nicht? Schämen sollen sie sich!
Beste mit Hunden jagende Grüße
Jörg
Hi Jörg – ich glaube das grundsätzliche Problem liegt darin, dass Hahnenaufzucht Zeit und Geld kostet – ob Kapaun oder nicht – und davor schrecken viele Geflügelbetriebe noch zurück.
Hi David,
da hast Du sciher recht! Wobei man Zeit und Geld noch um das Merkmal Platz erweitern muß.
Hi Jörg
sehr interessant
Leider finde ich in Berlin kein Hahnfleisch (hab bei mehreren Metzgereien gefragt)
hast du welche Kontakte?
danke
lg
Jordan