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Zu Gast bei Wolfs Junge in Hamburg: Auf der Suche nach echten Antworten

Zu Gast bei Wolfs Junge in Hamburg: Auf der Suche nach echten Antworten

Hamburg-Uhlenhorst, Mitte Dezember. Ein normaler Freitagmittag in der norddeutschen Metropole. Eine beschauliche Gegend im tristen Winterlicht. Bisschen diesig, bisschen windig, bisschen grau. Wer das Wolfs Junge sucht, muss vielleicht zwei Mal schauen, damit er es findet. Eher dezent hält sich der Schriftzug auf dem weißen Schild über dem Eckeingang in der Zimmerstraße zurück. Zieht man aber die Tür auf und schiebt den schweren Vorhang dahinter zur Seite, betritt man ein eher kleines, aber feines und schrecklich gemütliches Restaurant. Schon der erste Eindruck ist: hier wird man nicht abserviert. Jeder Tisch hat seine eigene Stimmung. Gemütlich im Raum verteilt und für jeden Gast und jedes Grüppchen die richtige Variante: gemütlich im Eck, privat in einer Nische, hell und licht am großen Fenster oder ganz entspannt am Tresen: Man fühlt sich willkommen. Begrüßt wird man von Sascha, Gastgeber und Sommelier im Wolfs Junge und langjähriger Wegbegleiter von Sebastian Junge, Gründer und Besitzer des Restaurants.

Konsequent & entspannt – eine vielversprechende Kombination

Ich bin schon lange mit Sebastian im Austausch. Vor anderthalb Jahren hat er zusammen mit seiner Frau Fabienne und seinem Team das Restaurant Wolfs Junge eröffnet. Konsequent ist er, und entspannt dabei. Das sind meine persönlichen Favoriten: er weiß, dass er keine Nachfragen zu befürchten hat. Er muss keine fachkundigen oder kritischen Gäste befürchten, die nicht nur wollen, dass ihre Gerichte tolle Namen und klangvolle Beschreibungen haben, sondern wirklich wissen wollen was dahintersteckt. Sebastian selbst hat alle Fragen selbst gestellt, hat man das Gefühl. Und, dass er mit jedem Produkt im Reinen ist. Ich bin zum Wolfs Junge gefahren, weil ich mit Sebastian über Fleisch sprechen wollte. Gutes Fleisch, und wie er es als Gastronom schafft, damit zu arbeiten, ohne draufzuzahlen. Wie er kommuniziert, dass sich „gutes Fleisch“ nicht nur in Marmorierungsgraden und gut vermarkteten Rinderrassen manifestiert, sondern auch in einer Haltung zur Haltung der Tiere.

Spagat zwischen Klassikern und Abenteuerlichem

In den letzten Jahren ist bei dem Thema viel passiert. Viel ins Rollen gekommen: viele Menschen haben verstanden, dass mit dem Genuss von Fleisch auch eine Verantwortung gegenüber dem Tier einhergeht. Ein großer Schritt in die richtige Richtung in einer allerdings kleinen Szene. Viele profitieren schon davon: Landwirte, Metzgereien, Verbraucher und nicht zuletzt die Tiere. Ein Bereich, der sich mit dem Trend zur Ganzheitlichkeit allerdings schwertut, ist die Gastronomie. Selbst in den Großstädten reicht die Szene der Fleischfeinschmecker oft nicht aus, um echtes Nose-to-tail mit Tieren aus respektvoller Haltung umzusetzen. Viele Gäste erwarten vom Restaurant neben einer abwechslungsreichen Wochenkarte eben auch Klassiker wie Filet oder Tafelspitz, auf die zurückgegriffen werden kann, wenn die Wochenkarte zu abenteuerlich ist. Man möchte Freiheit, wenn man sich was gönnt. Die Arbeit mit dem ganzen Tier ist zu allererst Handwerk. Nicht bieder, aber eben auch nicht grenzenlos.

Fleisch-Verarbeitung sinnvoll kommunizieren

Wie schafft man es also als Restaurant, einen konsequenten und achtsamen Fleischkonsum zu kommunizieren? Das ist eine Frage, die mir noch kein Gastronom so richtig beantworten konnte. Auch Sebastian konnte es mir nicht aif einen einfachen Nenner herunterbrechen. Dass es für ihn funktioniert, liegt daran, dass er voll dahintersteht, glaube ich. Er weiß, dass ein Konzept wie seines mit Abstrichen nicht ehrlich ist. Darauf hat er keine Lust. Bevor er sich mit dem Wolfs Junge selbstständig gemacht hat, ist er nicht nur viel herumgekommen und hat in einigen herausragenden Küchen gekocht, sondern hat sich auch nochmal wirklich die Zeit genommen, Landwirtschaft zu verstehen. Zu verstehen was passiert, bevor die Produkte, einheitlich sortiert und gewaschen, wie von Zauberhand, in der Küche erscheinen. Mehrere Praktika auf Höfen, in Käsereien und Bäckereien hat er absolviert.

Nose-to-Tail auf dem Poster oder auf dem Teller?

Orte, wie der Hof Klostersee an der Ostsee haben einsinken lassen, wie weit unsere Erwartungshaltung gegenüber den Teilstücken der Tiere, von den wirklichen Schlachtkörpern entfernt ist. Dies nicht nur zu wissen und nachzuplappern, sondern wirklich akzeptiert und verstanden zu haben, sorgt für die Selbstverständlichkeit, mit der sich im Wolfs Junge durch das Hinterviertel gearbeitet wird, bis es wirklich ganz genutzt ist. Auch das ist leichter gesagt als getan. Auf ein Kilo Filet kommen ein paar weitere Kurzbratstücke und viele Kilo Hack. Viel Gulasch und viel, viel Brühe. Alles lecker, wirklich, wirklich lecker: aber alles möchte auch an den Gast gebracht werden. In vielen Restaurants existieren Rinder- oder Schweinehälften höchstens als Poster, auf denen aufgezeichnet ist, wo die Teilstücke am Tier sitzen. Im Wolfs Junge wird mit dem ganzen Tier gearbeitet.

Alle müssen dahinterstehen

Vormittags herrscht in der engen Küche im Wolfs Junge reges Treiben. Das Team um Sebastians Sous-chef und rechte Hand, Mark, ist mit der Vorbereitung des Tages beschäftigt. Für den Mittagstisch werden frische Knöpfle gemacht und Kroketten paniert. Mark filetiert Lachsforellen aus der Lüneburger Heide, zieht die Gräten und schabt anschließend noch die Reste von den Karkassen. Die Auszubildende Greta formt und paniert die Kroketten und schneidet feine Porreestreifen für Tatar und Bratkartoffeln, während Koch Dominik den Knöpfleteig schlägt und den von Mark vorbereiteten Fisch für den Mittagstisch portioniert. Sebastian selbst bereitet das Beef Tatar als Amuse-Gueule für die Gäste vor. Durchgelassenes Fleisch, selbst gepickelte Gurken, Kapern, fermentierten Ingwer, Senf, Öl und Gewürze. Jeden Tag anders. Der Chef übernimmt anschließend den Abwasch, während er wartet, dass seine Brote im Backofen fertig sind. Zwischendurch bespricht er mit Sascha das Menü des Tages, vegetarische Alternativen zu den Hauptgerichten, die Weinauswahl, Amuse-Gueule und Desserts. Sascha steht vorne im Restaurant und begrüßt die Gäste, weist ihnen ihre Plätze und erklärt die Karte. Bespricht mit ihnen Sonderwünsche und mit der Küche, was machbar ist. Er ist die erste Instanz des Nose-to-Tail im Wolfs Junge. Bei einem solchen Konzept ist es wichtig, dass von der Begrüßung bis zum Abwasch alle dahinterstehen.

Blumige Namen vs. Realität

Sebastian kocht am liebsten regional und saisonal. Einige Produkte kommen aber auch von weither. Vom Pfeffer bis zum Olivenöl wird aber immer bis hin zur Urproduktion geschaut, dass der Konsequenz genüge getan wird, auch wenn das Aufwand bedeutet. Mensch, Tier und Natur sollen gleichermaßen fair behandelt werden. Die Weine kommen in Bio- oder Demeterqualität: das Restaurant ist selbst Bio-zertifiziert. Auch das ein Akt der Konsequenz in der Welt der Gastronomie, wo selten ernsthaft nachgefragt wird und tollen, blumigen Namen bei den Gerichten oft mehr Bedeutung beigemessen als Informationen zu Hintergründen: Selbst zugeschriebene Attribute leichter zu halten sind als echte Zertifizierungsprozesse. Selbst der in Hamburg scheinbar allgegenwärtige Fisch kommt nicht leicht daher. Als Bäuerchen aus dem Süden wäre ich davon ausgegangen. Für Sebastian Junge ist die Zusammenarbeit mit dem renommierten Geschäft Fischfeinkost Baier aber fast alternativlos auf dem Hamburger Markt für Fische, der anscheinend unfassbar schrumpft, sobald man echte Antworten sucht.

Handwerkliches Kochen mit echten Zutaten

Köche sind oft überzeugte und überzeugende Gestalten. Ein Koch weiß, dass er sich aussuchen kann wo er arbeiten möchte: Kochstellen gibt es mehr als es gute Köche gibt. Sie sind gesucht. Das Team, das mit Sebastian in der Küche steht, hat sich für die Herangehensweise des Chefs entschieden; Handwerkliches Kochen mit echten Zutaten und Respekt vor dem Grundprodukt. Kochkunst und Konsequenz. Das Team arbeitet schnell und konzentriert: sie wissen was sie tun. Selbstangesetzte Fermente spielen auf den Tellern des Restaurants eine große Rolle, genau wie Gemüse der Saison und das Fleisch der Stunde. Mitte Dezember war es eine 36-monatige Färse aus der Uckermark, die die Karte bestimmte. Aufgewachsen im Biosphärenreservat Elbtalaue und auf der Weide geschossen. Anschließend von der Nahe bei Hamburg gelegenen Metzgerei Dreymann trocken gereift. Es ist nicht immer alles verfügbar. Jedenfalls nicht feldfrisch: deswegen gehen die Gäste mit den Produkten durchs Jahr. Im Sommer gibt es die Feldgurke sonnenwarm, im Winter gepickelt. Mal pur, mal elegant kombiniert. Über die Saison kommt viel aus dem eigenen Garten vor der Stadt, im Winter aus den hölzernen Regalen im Trockenlager.

Selbermachen in ökonimischem Maß

Wichtig sei das richtige Maß beim Selbermachen, sagt Sebastian. Es werden keine Fertigprodukte eingekauft: die Kroketten für den Mittagstisch werden von Hand geformt, während die Sauerteigbrote an einer warmen Stelle in der Küche gehen. Gleichzeitig sei es aber auch wichtig, die Grenzen des Machbaren zu kennen und sich nicht zu verzetteln. So versucht der Gastronom laufend, die Zusammenarbeit mit Partnern weiterzuentwickeln. Eine wichtige Rolle spielt dabei die Metzgerei Dreymann auf dem nahegelegenen Demeter Gut Wulfsdorf. Die Jahrzehntelange Erfahrung Andreas Dreymanns bei der Fleischveredelung wird geschätzt und gerne angenommen. Gemeinsame Aktionen stellen regelmäßig auch besondere Produkte in den Mittelpunkt. Im Januar ist es nochmal die Färse aus der Uckermark. Inzwischen sieben Wochen gereift. In fünf Gängen wird sie in den Mittelpunkt gestellt und gezeigt, wie vielfältig, lecker und befriedigend es sein kann, sich mit einem Tier wirklich zu beschäftigen. Unwillkürlich kommt mir ein Grillteller beim Griechen in den Kopf. Als Antithese zur beschriebenen Veranstaltung: nicht fünf Tiere auf einem Teller, sondern fünf Teller von einem Tier. Kochkunst und Konsequenz; in dem Fall mit einer Betonung bei „Kunst“.

Gutes Gefühl & guter Geschmack

Am Ende geht es für den Gast darum, mit einem guten Gefühl einen richtig leckeren Teller zu essen. Sonst kommt man einmal wegen des Konzeptes und zieht dann weiter. Je mehr Könner aber ihre Expertise haben einbringen können, desto besser. Deswegen auch die Zusammenarbeit mit Produzenten wie dem Hof Klostersee, der Metzgerei Dreymann oder Elbwild. Auf die Frage, wie schwer es gewesen sei, sich mit einem solch konsequenten Konzept auf die proppenvolle Karte der Hamburger Restaurants zu kochen, zuckt Sebastian mit den Schultern. Es muss schmecken. Es ist eine aufwändige aber gleichermaßen geradlinige Küche, die das Wolfs Junge anbietet. Die Gäste schätzen, dass die Gerichte nicht verwirren, sondern ehrlich gut schmecken. Die sorgfältig ausgewählten Grundzutaten schreien nach keinem Muskelspiel der Gewürze und Soßen, sondern lassen sich ausgezeichnet in Szene setzen. Das Selbstbewusstsein des Teams, wenn es um das eigene handwerkliche Können geht, bemerkt man an der Zurückhaltung, mit der den Komponenten die Bühne überlassen wird. Die Küche inszeniert sich nicht selbst, sie inszeniert die Zutaten. Produktorientierte Küche nennen das die Genussdenker der heutigen Zeit. Durchaus in einer Denklinie mit Großen der Szene wie René Redzepi aus Kopenhagen oder Dan Barber in New York. Wahrscheinlich klappt es deswegen, den Bogen zu schlagen und Menschen zu begeistern.

Wer fragt, bekommt Antworten

Freunde toller, vegetarischer Gerichte werden genau so mit Herzblut bekocht, wie anspruchsvolle Fleischfans, die sich Klassiker auch mal neu interpretiert wünschen. Menschen, die auch im Restaurant biologische Produkte wollen, kommen auf ihre Kosten, wie auch die Kenner der gehobenen Küche. Es geht ums Essen. Nicht darum recht zu haben, dogmatisch zu sein oder zu belehren. Wer fragt, bekommt Antworten. Wer Hunger hat, ausgezeichnetes Essen. So einfach ist es vielleicht, wenn die schwierigen Fragen im Vorhinein gestellt und beantwortet wurden. Einfach gutes Essen. Ende Januar werde ich wieder kommen. Dieses Mal für einen gemeinsamen Abend von „Hofhuhn“ und „Wolfs Junge“. Einen Kochabend mit dem Thema Hahn. Ich bin gespannt was Sebastian macht, wie er unsere Hähne und ihre Teilstücke in Szene setzt.

Über den Autor Ingmar Jaschok

Ingmar Jaschok ist Demeter-Landwirt mit journalistischer Ader – eine seltene Kombination. Durch tiefe Einblicke in die Landwirtschaft aufgrund jahrelanger Arbeit auf Betrieben in ganz Deutschland und seinem Heimathof dem Bornwiesenhof weiß er genau, an welchen Stellen es Fleisch-Erzeuger am meisten drückt und wo dringend mal nachgehakt werden muss. Als freier Journalist und Autor bereitet er diese Erkenntnisse so auf, dass auch Endverbraucher verstehen, was die Branche bewegt. Ingmar Jaschok reist als Genuss-Scout für Fleischglück durch Deutschland und trifft Erzeuger, Gastronomen und andere Persönlichkeiten, die in der Fleisch-Szene außergewöhnliches leisten. Noch mehr Geschichten aus seinem Leben als Landwirt mit Mission und Vision kann man auf seinem Blog Hofhuhn lesen.

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Matthias Gebhardt
4 Jahre zuvor

Wirklich toll geschrieben!
Weiter so liebes Fleischglück-Team