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Mythen im Check: Braucht ein Steak wirklich Zimmertemperatur?

Mythen im Check: Braucht ein Steak wirklich Zimmertemperatur?

Ein Steak braucht vor dem Braten unbedingt Zimmertemperatur! Dieser Mythos hält sich selbst unter Profis hartnäckig. Dabei lässt sich selbst ein gefrorenes Steak problemlos grillen und anschließend garziehen. Unser Experte Tobias Brockard erklärt, warum Kälte sich sogar positiv auf das Grill-Ergebnis auswirkt.

Kommentar unseres Fleisch-Experten

Oft wird damit argumentiert, dass das Fleisch, wenn es direkt aus dem Kühlschrank auf den Grill kommt, einen Hitzeschock bekommt und sich zusammenzieht. Dass sich ein Steak, also ein Muskel, der aus Muskelfasern besteht, zusammenzieht ist zuerst einmal richtig. Der Grund dafür liegt in den denaturierenden Proteinen, die sich näher aneinander schieben.  Allerdings kommt es dabei nicht zum befürchteten „Hitzeschock“. Ehrlich gesagt habe ich nie verstanden was das sein soll. Ganz extrem wäre es ja dann, wenn ich ein gefrorenes Steak auf den Grill legen würde. Denn dort sind die Temperaturunterschiede ja naturgemäß am größten. Doch wie ich im Video oben beweise, geht auch das. Kurzum: Ein Steak muss vor dem Braten nicht auf Zimmertemperatur gebracht werden. Das ist genau genommen sogar kontraproduktiv.

Zimmertemperatur? Ein Mythos!

Das Vorgehen beim Grillen eines Steaks ist im Grunde immer dasselbe. Zuerst von außen scharf angrillen, anschließend im indirekten Bereich möglichst schonend auf die gewünschte Kerntemperatur ziehen. Das Ziel sollte dabei immer sein, im Inneren viele Bereiche perfekt gegart zu haben, während die Kruste außen maximal kross und geröstet daher kommt. Die größte Herausforderung dabei besteht darin, die starke Hitze von außen möglichst nicht weit ins Steak hinein dringen zu lassen. Und was hilft dabei? Genau: Ein möglichst kaltes Steak, das die Hitze nicht hinein lässt.

Meiner Meinung nach sollte ein gutes Steak mindestens 3-4 cm dick sein. Das ist schon der erste Puffer gegen das Übergaren. Ist das Steak aufgrund der anatomischen Gegebenheiten des Cuts/Zuschnitts aber dünner (z.B. Skirt-, Flank oder Spider Steak), dann kann dieser Puffer gegen Übergaren eben jene Kälte sein. Ich mag an meinem Steak so viele Röstaromen wie möglich. Deswegen wäre es für mich keine Option, nur eine Seite dieser dünneren Stücke anzugrillen. Also lege ich sie direkt aus dem Kühlschrank auf den Grill. In der Zeit, in der das Fleisch dann auf dem Grill von beiden Seiten schön geröstet wird, hat es Zeit sich innen leicht zu erwärmen, ohne völlig zu übergaren. Die Grillzeit, die ich für das Erzeugen der Röstaromen aufwenden kann, verlängert sich dadurch.

Kälte schützt vor grauem Rand

Genauso funktioniert das auch mit dicken Steaks aus dem Rückenbereich. Natürlich ist die Phase im indirekten Bereich beim Nachgaren etwas länger, um auf die gewünschte Kerntemperatur zu kommen. Doch der graue, übergarte „Trauerrand“ ist wesentlich kleiner und ihr habt ein wunderschönes Anschnittbild. Das Steak sagt einem ja selbst, wann es gegessen werden möchte und zwar, wenn es die gewünschte Kerntemperatur erreicht hat. Und die Steaks, die am längsten brauchen, liefern meistens das schönste Ergebnis. Deshalb empfehle ich auch immer einen Kerntemperturfühler, um den perfekten Gargrad zu treffen. Wichtig ist dabei zu bedenken, dass das Fleisch, wenn es vom Grill genommen wird, immer noch nachgart. Bei einer Temperatur von 100-120 Grad Celsius im Grill, um 1-2 Grad. Willst du also dein Steak bei einer Kerntemperatur von 56 Grad essen, empfehle ich, das Thermometer auf 54 Grad einzustellen. Anders ist es beim Rückwärts-Grillen, denn hier ist das Steak schon vorgegart. Allerdings sollte auch bei dieser Methode einberechnet werden, dass beim Anrösten noch ein gewisser Energieeintrag stattfindet und die Temperatur im Fleisch um einige Grad steigen wird. Kurzum: Der Mythos „Fleisch muss auf Zimmertemperatur kommen“ ist in der Praxis nicht nur falsch, sondern sogar kontraproduktiv.

Unser Experte: Tobias „Cätschi“ Brockard

Tobias Brockard ist staatlich geprüfter Lebensmittelverarbeitungstechniker und grillt seit über 18 Jahren auf höchstem Niveau. Er gibt Schulungen, Seminare und Steaktastings, berät Metzger und hat ein tiefes Netzwerk in die Fleischbranche. Mit seinem Wissen über biochemische Vorgänge bei der Verarbeitung, Veredelung und Zubereitung von Fleisch, liefert er auf Fleischglück.de überraschende Einblicke in die Welt des Fleischgenusses. Mehr über Tobias Brockard und seine Tasting-Reihe Grill n‘ Taste, findet ihr hier.

Tobias will erklären, nicht desilussionieren: „Ich möchte nicht die Faszination des Grillens zerstören. Ganz im Gegenteil. Ich möchte mit meinem Fachwissen und meiner Erfahrung dazu beitragen, die Vorgänge zu verstehen und dadurch reproduzierbar zu machen. Es ist doch so, dass man Dinge einfach tut, ohne sie zu hinterfragen. An diesem Punkt setze ich an“.

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3 Comments
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Thomas Winnacker
3 Jahre zuvor

Jetzt erst gelesen ? Danke für die Insights. Bin auch ein Vertreter der Raumtemperatur-Fraktion. Werde das ausprobieren. Hast Du Erfahrungswerte, wie lange ein Gargut (z.B. Flanksteak) im Froster sein darf? Habe hier ein Roastbeef, das seit 2 Jahren auf seinen Einsatz wartet und bekomme demnächst Gäste …

Admin
David Seitz
3 Jahre zuvor

Hi Thomas, Fleisch im Gefrierfach ist erstmal kein Problem, solange es schnell runtergekühlt wird, damit sich keine großen Eiskristalle bilden können – Schockfrosten ist das Stichwort. Dann musst du bedenken, dass das Fleisch auch bei Minusgrade weiterreift. Zwar ganz langsam aber es reift dennoch und verändert unter Umständen seinen Geschmack. Ich würde sagen: 6 Monate ist okay, alles darüber würde ich vermeiden. Giftig ist es sicher nicht – probier’s also einfach aus und berichte hier mal von deinen Erfahrungen. Liebe Grüße, David von Fleischglück

https://www.fleischglueck.de/magazin/steakmythen/
7 Monate zuvor

[…] steht, ist es schlichtweg unnötig das Fleisch vorab aus der Kühlung zu holen. In unserem Deep-Dive zum Thema gehen wir noch einmal näher auf extreme Temperaturen beim Steak […]